Evangelisch und Katholisch - Wer hat den stärkeren Zusammenhalt?
"Ich bin evangelisch. Meine Nachbarn sind katholisch. Mir fällt immer wieder auf, dass viele katholische Christen sehr betonen, dass sie katholisch sind und oft besser zusammenhalten und auch häufiger in die Kirche gehen. Woran liegt das eigentlich?"
Das ist ein spannende Beobachtung. Und in manchen Regionen ist das wohl so, das muss ich als evangelischer Pastor neidlos anerkennen - da halten katholische Christen oft besser zusammen.
Warum? Kleine Gruppen sind überschaubarer als große. In Niedersachsen zum Beispiel sind nur rund 18 Prozent der Christen katholisch, während mehr als 50 Prozent evangelisch sind. Da ist kein Wunder, dass die katholische Minderheit zusammenrückt. Die gemeinsame Konfession verbindet eben. Wenn aber evangelische Christen in der Minderheit sind, dann ist das ähnlich zu beobachten: Es gibt sehr aktive evangelische Gemeinden, zum Beispiel in Bayern oder im Ausland. Hier bewahren Menschen ihren Glauben und ihre Identität - und das geht eben am besten gemeinsam.
Und warum gehen katholische Christen häufiger in die Kirche? Das liegt wohl am sogenannten "Sonntagsgebot". Das bedeutet: Jede Katholikin und jeder Katholik ist verpflichtet, an der sonntäglichen Heiligen Messe teilzunehmen. Die geweihten Priester dort spenden die Eucharistie, das Abendmahl, und sind sozusagen eine Brücke zu Gott. Darum gehen viele katholische Christen bewusst in die Messe. Allerdings ist auch dort der Gottesdienstbesuch statistisch gesunken. Vor 50 Jahren kamen noch 50 Prozent, inzwischen sind es rund 15 Prozent.
Kein regelmäßiger Kirchgang
Und in der Evangelischen Kirche? Ein Umfrage zeigt: Nur 4 % der Mitglieder gehen regelmäßig in die Kirche. Aber auch das hat seinen Grund. Evangelische Christen kennen kein Sonntagsgebot, sondern entscheiden allein vor ihrem Gewissen, wie viel Kontakt sie zu ihrer Gemeinde halten. Manche beschränken das auf Weihnachten und kirchliche Amtshandlungen, andere kommen regelmäßig und arbeiten sogar aktiv mit. Nach evangelischem Verständnis ist beides möglich. Und die Pastorinnen und Pastoren sind auch keine "Heilsvermittler" - wie in der katholischen Kirche. Evangelische Geistliche sind Gemeindeglieder mit besonderen Aufträgen.
Dennoch sind die Zahlen beachtlich: Etwa eine Million Menschen besuchen jeden Sonntag einen evangelischen Gottesdienst und weitere 900.000 verfolgen regelmäßig die sonntäglichen Fernsehgottesdienste. Und darüber kann man doch mal reden! Fragen Sie doch einfach mal Ihre katholischen Nachbarn. Was bedeutet Euch der Gottesdienst? Warum ist Euch Eure Gemeinde so wichtig? Sicher können evangelische und katholische Christen manches voneinander lernen.
Aus: "Noch eine Frage, Herr Pfarrer. 111 himmlische Antworten", LVH, 2010.